Skulduggery, Tanith, Walküre und
Fletcher erschienen in der ausladenden Empfangshalle von Midas’
Villa. Ein Gewirr von Menschen stand oben an der Treppe. China stand
unten an der Treppe und beobachtete sie sorgfältig.
„China, wie schön, dich zu sehen.
Was könntest du wohl an einem Ort wie diesem hier suchen?“, fragte
Skulduggery und seine Stimme triefte vor Sarkasmus.
„Auch ein Vergnügen, dich zu sehen“,
entgegnete China kühl. „Um auf deine Frage einzugehen, ich wurde
hierher eingeladen, Midas wollte mich beeindrucken mit dem… ach,
wie nannte der schmuddelige, kleine Mann es… dem Cumhachtach. Für
ihn war es der Gipfel seiner Karriere, er war sicher, dass diese
Entdeckung, natürlich ihm zugeschrieben, ihm die Position im
Ältestenrat zusichern würde. Ich hege keine Zweifel, dass es so
gekommen wäre, aber dem Mann war das nicht genug, er musste ja damit
angeben. Jetzt ist er tot. Ich vermute, daraus kann man eine Lehre
ziehen, aber was mich angeht, hab ich keine Ahnung, welche…“
Walküres Augenbrauen hoben sich. Sie
war sich ziemlich sicher, dass sie daraus eine Lehre ziehen konnte.
Lade niemals deine schlimmsten Feinde zum Abendessen ein und erwarte,
dass sie dich nicht umbringen, war definitiv die am nächsten
gelegene und offensichtlichste Moral hier.
„Wo ist die Leiche?“, fragte
Skulduggery.
„In seinem Pokalzimmer, auf den
ersten Blick würde ich sagen, er hatte etwas zu tief ins Weinglas
geguckt, jemand hat ihn niedergeschlagen und sich dann selbst zu
einigen Artefakten verholfen.“
„Artefakte? Mehr als eins?“, fragte
Tanith. China nickte.
„Das hast du am Telefon gar nicht
erzählt“, sagte Skulduggery. China hob diskret eine Augenbraue.
„Ich fand es als Überraschung
schöner.“
Tanith seufzte und schüttelte den
Kopf, doch Skulduggery zeigte keine Reaktion.
„Kommt schon, ich bringe euch zur
Leiche unseres lieben Freunds Midas.“
China drehte sich um und ging los, alle
setzten sich hastig in Bewegung, um ihr zu folgen. Sogar Fletcher,
der etwas unsicher auf den Füßen war, nachdem er so viele Leute
über eine größere Distanz transportiert hatte. Walküre lächelte
ihm flüchtig zu. Er sah müde aus.
Der Raum, in dem man Midas Leiche
gefunden hatte, war mehr wie ein Saal. In ihm waren Figuren,
Artefakte und Bücher aufgereiht. Jedes Stück hatte eine Art Etikett
an sich. Walküre betrachtete einige davon.
„Seltener, schwarzer Kristall, aus
einem Schwertknauf gehebelt; beide auf die Ära der Urväter
datiert“, las sie vor.
Skulduggery sah sie finster an. Sie
zuckte die Schultern. Sie hatte kein Bedürfnis, sich Midas’ Leiche
aus nächster Nähe zu betrachten, also schwebte sie durch den Raum
und schaute, was die Regale und Podeste beinhalteten.
Sie nahm sich ein großes Buch und
schlug es auf.
Obwohl das Zepter der Urväter das wohl
bekannteste Fundstück ist, glauben viele Gelehrte, dass die Urväter
mehr als diese eine Waffe gebaut haben, um die Gesichtslosen zu
besiegen. Den Beweis lieferten beschädigte und nicht funktionierende
Artefakte, die im letzten Jahrhundert ausgegraben wurden. Alle
scheinen von derselben Sorte schwarzer Kristalle gespeist zu werden,
wie das Zepter der Urväter einen haben soll. Dies liefert auch eine
besser Erklärung dafür, wie der Krieg, der unter den Urvätern
wütete, nachdem sie ihre Götter gestürzt hatten, so zerstörerisch
sein konnte und schließlich im Aussterben ihrer Rasse sein Ende
fand…
Walküre schlug das Buch zu und drehte
es, um den Namen des Autors zu lesen. Brynhild Nosferatu. Laut dem
Text hinten im Buch war sie eine Gelehrte und Archäologin, die sich
auf die Studien über die Urväter spezialisiert hatte. Walküre
speicherte das als interessant ab und blätterte ein anderes,
zufälliges Kapitel auf.
… dennoch hätte dies verursacht
werden können durch zwei defekte Artefakte, die aufeinander
reagierten und ein großes Energiefeld erzeugten, groß genug, um die
massive Explosion zu verursachen, über die noch heute berichtet
wird. Viele Archäologen berichteten, dass zwei oder mehrere
Artefakte zunächst defekt erscheinen, auf die Anwesenheit des
jeweils anderen reagieren, indem sie hell aufleuchten. Viele
spekulieren, dass die Explosion von einem Artefakt ausgelöst wurde,
dass sich aktiviert hat und nicht nur reagierte. Natürlich existiert
immer noch die alte Verschwörungstheorie, das Sanktuarium trage die
Schuld an allem…
„Sie ist hier“, ertönte Chinas
Stimme. Walküre sah auf.
„Hä?“
„Du bist ja äußerst redegewandt.“
China schüttelte den Kopf. Walküre funkelte sie an.
„Wer ist hier?“, fragte Walküre.
China lächelte.
„Brynhild Nosferatu. Sie ist,
akademisch gesehen, eine von Midas’ größten Konkurrentinnen.
Sagt, die meisten seiner Funde sind nachgemacht. Es ist faszinierend
ihr zuzuhören, wenn sie sich in Rage redet. Sie hat vorhin eine
kleine Szene verursacht. Hat Midas mit einem Glas Wein im Gesicht
erwischt, und auch noch Rotwein. Sein hübsche, weißes Hemd war
herrlich besudelt.“
Walküre gluckste zusammen mit China.
China zog ein weiteres Buch hervor und gab es Walküre.
„Das ist von Nighttide Ire, eine
weitere Größe in den Studien der Urväter. Sie ist auch hier“,
sagte China. Walküre hob die Augenbrauen.
„Weißt du viel über die Leute
hier?“, fragte sie. Sie wollte wissen, was für Menschen Midas zu
seinen größten Rivalen zählte.
China brummte und legte den Kopf
schief.
„Naja, dann ist da noch Imperio Quis,
ziemlich still. Aber etwas fanatisch auf dem Gebiet des Feminismus.
Sie hasst Midas und hat weiß Gott wie viele Frauen vertreten, die
ihn der sexuellen Belästigung bezichtigt haben.“
„Also ist sie eine Anwältin?“
„Keine Anwältin im klassischen
Sinne, aber so nah, wie man an eine herankommen kann. Sie solltet ihr
im Auge behalten, sie hat Leute hinter sich, mächtige Personen
setzen auf sie. Mich würde es nicht wundern, würde sie die andere
Stelle im Ältestenrat beziehen“, erklärte China.
„Sie klingt zwielichtig“, sagte
Walküre.
„Überhaupt nicht.
Überraschenderweise laufen alle ihre Geschäfte offen ab. Machen wir
weiter, wir haben noch Ivy Blake. Ob du’s glaubst oder nicht, ich
weiß kaum etwas über sie. Wer auch immer sie ist, sie ist viel in
der Welt herumgekommen. Man sagte mir, sie sei eine Stellvertreterin.
Jemand hat sie hergeschickt, weil sie nicht selber kommen konnten.
Und genauso der Mann namens Leskow
Eben. Leskow ist mir auch relativ unbekannt. Trotzdem vertreten beide
mächtige Männer. Die Männer, die sie angeblich vertreten, sind
fast so mächtig wie Midas und haben sich regelmäßig
zusammengeschlossen, um ein paar heftige feindliche Übernahmen
aufzuhalten. Ihre Namen sind nicht wichtig. Wie auch immer, sie haben
Verbindung zu Imperio Quis, sie vertritt sie vor Gericht. Sie
erzielte letztes Jahr einen Meilensteinsieg…“
China unterbrach sich und sah zu
Skulduggery. Er stand bei Midas’ Leiche. Fletcher und Tanith waren
außer Sichtweite.
„Wo…“, begann Walküre, doch
China schnitt ihr das Wort ab.
„Bewachen die Verdächtigen.
Skulduggery wartet doch auf Kenspeckle, oder?“
Walküre nickte. China schloss die
Augen.
„Wer ist noch hier?“ Walküre
wollte mehr über die Verdächtigen erfahren.
„Nun, wenn wir von unseren zwei
Unbekannten weitergehen, haben wir Nighttide Ire. Manche ihrer Werke
sind bis in meine Privatsammlung gelangt, wenn du heute Nacht die
Muße dazu findest, dann les mal eines ihrer Bücher. Wenn nicht, hab
ich ein Exemplar, das du dir dann ausleihen kannst. Kurz, sie ist
gut. Eine führende Expertin auf ihrem Gebiet. Aber Midas hat sich
ihre Grabungsrechte durch Bestechungen angeeignet, wenn sie anfängt
zu graben, kannst du fast sicher sein, dass dort etwas ist. Midas hat
das jahrelang als Indikator benutzt.“
„Ich glaube, ich würde ihm die Birne
einhauen, wenn er so was mit mir machen würde.“
China lachte.
„Fürwahr, Walküre, Fürwahr,
dennoch hörte ich von einer Bewegung im Gerichtshof, die einige
Entdeckungen, die Midas zugeschrieben wurden, an sich nehmen und ihr
zukommen lassen wollen. Jetzt, da er tot ist, könnte es
durchkommen.“
Walküre sah angeekelt auf die Leiche.
Er hatte so viele Menschen so vielfältig verletzt. Wie konnte er
nachts ruhig schlafen?
„Als nächstes haben wir die tödliche
Liliana Pitchblack. Reich, verschlossen und, vor fünf Jahren, mit
Midas verheiratet. Die arme Frau muss sich den Kopf angeschlagen
haben oder so. Sie kam aber wieder zur Besinnung und trennte sich von
ihm. Midas war außer sich. Die Leute begegnen ihm nur sehr selten
so, was die Sache vermutlich noch schlimmer machte, war die Tatsache,
dass sie genauso mächtig ist wie er. Er kann sie mit nichts
belangen, weder legal noch illegal, sein Lieblingstrick ist es, das
Gesetz gegen seine Opfer einzusetzen, doch Lilianas ist alt und ihre
Freunde und Verbündeten beschützten sie gegen seine Angriffe.
Ehrlich gesagt, war ich etwas überrascht, dass sie heute Abend
erschienen ist.“
„Sie könnte erschienen sein, um ihn
zu töten“, wies Walküre hin.
„Könnte sein, ich will ihr nichts
anhängen. Ich hab sie einmal getroffen, sie ist nicht die beste
Gesellschaft, wenn du es schnell mit der Angst zu tun bekommst. Aber
es folgen noch mehr Verdächtige. Iko Devian. Er ist der Sohn eines
ehemaligen Ältesten, vor deiner Zeit. Wie auch immer, er hatte diese
Sandkastenliebe, ihr Name fällt mir grade nicht ein. Sie wären so
verliebt, bäh, mir wurde fast schlecht, wann immer ich die beiden
zusammen sah. Midas war krankhaft eifersüchtig, er nahm ihm aus
purer Bosheit das Mädchen mit seinem Zauber weg. Iko war
niedergeschmettert. Das Mädchen rannte weg. Sie wurde nie wieder
gesehen, schlimme Gerüchte behaupten, sie sei umgebracht worden,
aber sie gehen darüber auseinander, wer sie umgebracht hat. Iko oder
Midas. Ich wette, sie wollte keinem von beiden begegnen und rannte
einfach weg.“
Walküre schüttelte den Kopf.
„Das… Wie ist er damit so lange
davongekommen? Und warum bist du so nett?“
„Er ist reich und mächtig, so ist er
damit davongekommen. Zu deiner zweiten Frage, ich bin nicht nett, ich
bin hilfreich. Ich hab’s nicht getan, aber ich will in dem Fall
unter gar keinen Umständen verdächtigt werden“, entgegnete sie.
Walküre zuckte die Schultern. Mit so was in der Art hatte sie als
Antwort gerechnet.
„Belligerent Crown, er will zu dem
Artefakt. Er will es studieren und ich könnte mir leicht vorstellen,
dass er Midas umbringen würde, um es zu bekommen. Er ist tödlich,
Walküre, und er benutzt Bindemagie. Wenn du im Kampf an ihn gerätst,
lauf. Lauf wie nichts Gutes und hoffe, dass er dich nicht interessant
genug findet, um dir zu folgen.“
Walküre schauderte. Chinas Augen waren
weit weg und Walküre fragte sich, ob die beiden sich in der
Vergangenheit wohl schon öfter begegnet waren.
„Der nächste Verdächtige?“,
fragte Walküre.
„Brynhild Nosferatu, ähnlich wie
Nighttide Ire. Midas hat ihre Ausgrabungen gestohlen und ihren Ruhm
eingeheimst. Er hätte ihre Karriere fast ruiniert. Sie hatte ihm
vorhin eine Szene gemacht, der Grund, weshalb Midas die Party
verlassen hatte. Um sein Hemd zu wechseln.“ China prustete, zum
ersten Mal.
„Dann haben wir Loki Lyon. Du kennst
vermutlich den Mann, der unter ihr trainierte, Remus Crux?“ China
sah Walküre an und feixte.
„Sie war die alte
Sanktuariumsdetektivin. Zusammen mit Quis hätten sie Midas um ein
Haar drangekriegt, aber ich vermute, Sagacious Tome hat ein
Schmiergeld von Midas angenommen, um Loki zu feuern und Remus zu
befördern. Loki war hundertmal besser als Remus, sie konnte den
Täter finden, den echten, ganz gleich, wie umständlich die Suche
war. Sie hat Glück, dass Midas sie nicht hat umbringen lassen… so
wie die Ehefrau unseres nächsten Verdächtigen.“
„Ehefrau? Wer ist denn der nächste?“
„Unser letzter Verdächtiger auf der
Liste ist Dante Infernalis. Netter Typ. Er hat einen tollen Job und
vor ein paar Jahren hatte er die Enkelin von Morwenna Crow
geheiratet, der Ältesten, die Nefarian getötet hat. Jedenfalls
Midas, seiner Form getreu, hat sie Dante weggenommen und weggeworfen.
Unglücklicherweise versuchte sie, ihn im Niedergang zu erpressen…
also ließ er sie töten. Ich weiß nicht, wer es getan hat, aber ich
weiß, wer es wissen könnte.“
„Wer?“, fragte Walküre.
„Das ist geheim. Ich rede Klartext,
Walküre. Ich will seine Sammlung. Wenn ich nichts tue, wird sie
einem Museum gegeben und er wird dafür verehrt. Aber, wenn ich genug
Beweise sammle, dass er ein Hochstapler war, konnte ich mehrere
Anklagen gegen ihn vorbringen. Seine Schätze werden verkauft werden
und ich gehe hin und kauf mir den Kram. Einfach? Wenn überhaupt,
muss ich zuerst seinen Mörder hinter Schloss und Riegel bringen.“
Walküre wollte gerade den Mund öffnen,
als Kenspeckle hereingestürmt kam.
„Entschuldigt, ich bin spät dran,
der Verkehr war furchtbar.“
Teil 4 folgt nächsten Freitag.